01.07. – 12.07.09 2. Französische Filmwoche @ Kino im Deutschen Filmmuseum
(Un Conte De Noel)
Allen Moden und Unkenrufen zum Trotz ist das französische Kino nach wie vor das beste und vielseitigste in Europa. Die 2. Französische Filmwoche, die das Kino im Deutschen Filmmuseum mit viel Mühe und Sinn für Abwechslung zusammengestellt hat, gibt in elf Werken einen Eindruck der neueren Produktion unseres Nachbarlands. All denjenigen, die meinen, Til Schweiger, Bernd Eichinger und Uli Edel machten schon eine blühende Filmlandschaft aus, wird hier geantwortet: Raymond Depardon, Arnaud Desplechin und Isabelle Huppert.
Zu bestaunen gibt es in einer Reihe exzellenter Filme vor allem sehr viele exzellente Schauspieler. Tatsächlich, man kann sich das hierzulande kaum vorstellen: es gibt in Frankreich Schauspieler, die bekannt sind, gut aussehen, gut spielen, und sich nie die Blöße gegeben haben, in mittelmäßigen Fernsehfilmen schlechte Dialoge abzustottern. Isabelle Huppert, die am Montag, dem 6. Juli tatsächlich nach Frankfurt kommt, ist nur die bekannteste davon – auch Catherine Deneuve und Gerard Dépardieu sind häufig in Deutschland zu sehen, in jüngster Zeit auch Louis Garrel („Die Spieler“, „Chansons d’amour“). Dann aber kommt die ganze Riege des „Nachwuchses“: der neue französische Superstar Mathieu Amalric („James Bond“, „München“, „Schmetterling und Taucherglocke“), zu sehen in „Un conte de noel“, Chiara Mastroianni, zu sehen in „Un conte de noel“ und „Un chat, un chat“, Emmanuelle Devos, in „Un conte de noel“ und „Coco avant Chanel“ und nicht zu vergessen die große Tragikomikerin Yolande Moreau in „Louise Michel“.
(Coco Avant Chanel)
Das deutet schon auf den Eröffnungsfilm der Reihe hin, Arnaud Desplechins „Un conte de noel“ (1. Juli, 20 Uhr, 12. Juli 20 Uhr): ein Familienfilm, und eine Art Klassentreffen einer Schule des französischen Kinos. Desplechin hat wie kaum ein anderer Filmemacher die Chuzpe, sich der ganzen Maschinerie filmischer Kunstgriffe zu bedienen, um den Zuschauer hinters Licht und wieder davor zu führen. Das sehr unterhaltsame Portrait einer Familie, deren Mitglieder samt und sonders in verschiedenem Grad gestört sind, hält virtuos alle vetrackten Fäden seiner Erzählung beisammen und führt dabei scheinbar überholte Kniffe wie das ständige Öffnen und Schließen einer Irisblende zu neuen kinematographischen Ehren. Die feiertägliche Zwischenwelt legt eine groteske, kranke Familie (es geht darum, einen Knochemarksspender für die Mutter zu finden) offen, die sich kollektiv nie vom frühen Tod des ältesten Sohns hat erholen können. Und gerade in dieser Extremsituation erkennen wir viele Grundzüge fast jeder Familienstruktur wieder.
(Un Chat, Un Chat)
Ähnlich hysterisch sind die Figuren in der Komödie „Un chat, un chat“ (8. Juli, 20.30 Uhr, 11. Juli 18 Uhr) von Sophie Fillières: Eine Schriftstellerin, die nicht schreiben kann, gleichzeitig aber auch völlig unbegabt für jede andere lebenspraktische Tätigkeit ist, und ein junges Mädchen, das sie mit dem Ziel stalkt, Protagonistin in einem ihrer Texte zu werden. Ebenso wie in „Un conte de noel“ sind die Figuren auf den ersten Blick so verschlossen, dass uns ob ihrer wunderlichen Verhaltensweisen nur ein ungläubiges Staunen bleibt – letztlich aber eine Welt aufgeschlossen wird, die durch oberflächliches Psychologisieren bloß verkleistert worden wäre.
Eine ganz neue Welt, gleichzeitg die älteste von allen, öffnet auch der Dokumentarfilm „La vie moderne“ von Raymond Depardon (4. Juli 18 Uhr, 10. Juli 22.30). Depardon, einer der bekanntesten Fotografen der renommierten Agentur Magnum, beendet mit diesem Film ein Langzeitprojekt über Landwirte im französischen Hochland. Er selbst kennt die Leute, die er portraitiert, seit langem – so scheinen sie jegliche Scheu gegenüber seiner 35mm-Kamera zu verlieren, mit der er in minutenlangen Sequenzen die Gesichter seiner oft sehr alten Gesprächspartner zu begreifen sucht. Er setzt mit diesem Film einer Lebensform ein Denkmal – und auch einer Form, Dokumentarfilme zu machen. In Zeiten von Videokamera und Einmann-Teams gehört die Dokumentation in Cinemascope und Dolby Surround wohl der Vergangenheit an. Angesichts der Anfangssequenz von „La vie moderne“ erscheint das wie ein schmerzlicher Verlust: Die Kamera gleitet vor dem Hintergrund eines Klavierstücks von Gabriel Fauré im Sonnenlicht eine kurvige Bergstraße herab, nach einer Weile erscheint eine Schafherde, ein Hund läuft über die Straße, und die sonore Stimme des Regisseurs führt uns in den Ort ein: „Dies ist der Hund Mirette, er versteht nur okzitanisch.“
(La Vie Moderne)
Diese Verliebtheit in ein fremdes Leben, eine fremde Welt, macht aus „La vie moderne“ sicherlich den bemerkenswertesten Film der Französischen Filmwoche. Deren gemeinsamer Nenner wohl auch damit gefunden wäre: Die Lust des Kinos in den Gesichtern seiner Akteure ungeahnte Tiefen auszuloten. Doch sagt man nur die Hälfte über den französischen Film, wenn man seine großen Autoren abzieht. Und auch hier hält die Filmwoche einige der wichtigsten parat: Der neue Claude Chabrol, „Bellamy“, der etwas bemühte, dennoch aber sehr schön anzusehende neue Philippe Garrel, „La frontière de l’aube“ und, parallel zu den neuen Produktionen, viele Filme des emigrierten Werner Schröter, in denen Isabelle Huppert die Hauptrolle spielt. Die Frau, die jedes Jahr ein bisschen schöner wird, ist ab dem 4. Juli und bis Ende des Monats regelmäßig auf der Leinwand am Museumsufer zu sehen. Bonne projection!